Dienstag, 12. April 2011

Öffentliche Konsultation „Schulen für das 21. Jahrhundert“

Beispielhaft schildere ich den … möglichen Verlauf des Lebens eines sich frei bildenden jungen Menschen, der Michael heißen soll.
Die ersten Lebensjahre verbrachte Michael bei seinen Eltern und älteren Geschwistern zuhause. Seine Mutter hatte die Jahre nach der Geburt viel Zeit für ihn und allmählich nahm er auch seinen Vater wahr. Er besuchte ihn auf der Arbeit und fuhr das eine und andere Mal auch zu Außenterminen mit. Mit fünf Jahren besuchte Michael von 14 bis 18 Uhr einen Nachmittagskindergarten. Alldieweil ging seine Mutter wieder ihrem zuletzt erlernten Berufe nach und zwar fast ganztägig, da sich leider keine noch günstigere Möglichkeit ergeben hatte.
Sein Vater arbeitete dafür nur noch drei Stunden am Tag und übernahm das Hin- und Zurückbringen von Michael zum Kindergarten. Vormittags hatte er Zeit, mit seinem Vater und seinen älteren Geschwistern zu spielen, zu lesen (das hatte er mit 4 ½ zuhause gelernt), und sie unternahmen mancherlei: Er traf sich mit Nachbarskindern, nahm seinen Musikunterricht an der Musikschule, studierte im Physikum der Uni ebenso wie im pädagogischen Bereich des örtlichen Zoos und ähnlich hochinteressanten Orten. Im Zirkus durchreisender Zigeuner war er auch schon mehrmals. Auch die Vorführungen der örtlichen Handwerksinnungen hatte er schon fast alle besucht. Die Händler am örtlichen Markt hatten auf einem Kindergartenausflug allen Kindern Rede und Antwort gestanden, aber die meisten kannte er ohnehin schon vom Einkaufen alleine oder mit seinen Eltern, Freunden und Geschwistern. Sie waren es schon gewohnt, daß die neugierigen Kinder immer Fragen stellten. Einmal die Woche besuchte er noch nach dem Kindergarten einen Schachclub und zweimal die Woche traf er sich vormittags im Sportverein zum Fußballtraining. Es war immer viel los und nie langweilig.
Seine älteren Geschwister sind noch fast den ganzen Tag auf die Schule gegangen, allerdings hatten sie schon das Glück, daß sie sich für die einzelnen Wissenschaften spezielle Schulen aussuchen konnten, die ihnen auch von deren Lernmethoden und dem Engagement der dortigen Lehrer entgegenkamen. Es war in Michaels kleiner Stadt sehr leicht von einer Schule zur anderen zu kommen, aber auch in den umliegenden größeren Städten hatten sich die Anbieter von Unterricht, Freilernräumen und Studierlaboren in den einzelnen Stadtvierteln recht kompakt zusammengefunden. Es war gar nicht so einfach, sich aus den zahlreichen Angeboten das passende – und auch für die Zukunft wichtige – herauszusuchen. Immerhin wurden die Angebote Jahr für Jahr günstiger und meist auch besser. Immer wieder machte jemand eine Entdeckung, wie man eine Sache schneller und einfacher lernen konnte – und neue Sachen wollte ja ohnehin jeder wissen. Michaels Eltern hatten sich – aufgrund eigener Erfahrung, anhand von Testberichten und Gesprächen mit Bekannten und Verwandten – für ein Unternehmen entschieden, welches sie bei der Auswahl von Lerninhalten, Lehrern, Büchern, Kursen und geeigneten Laboren beriet.
Michaels Vater hatten keine Schule besucht, damals schon lernte er im Leben mittels Homeschooling, zu einer Zeit, als dies in Deutschland noch bestraft wurde. Die Großeltern erzählen noch heute gerne, wie sie erst eine Schule zu Hause eingerichtet haben, um dann zu merken wie ihr Sohn immer selbständiger – und je selbständiger, desto eifriger – von alleine lernte. Er war halt so richtig wißbegierig. Aber nicht immer eifrig. Oft fand er auch die Muße zur Pause und zur Ruhe oder aber dafür, sich in eine Sache so richtig tief hineinzuknien. Ein Jahr lang, das wird Michaels Oma wohl nie vergessen, hat sein Vater als junger Bub nur Chemie im Kopf gehabt – und in der Küche, im Keller und im Hof, bis der Hausmeister dann die Experimente verbot. Damals gab es ja noch nicht die tollen naturwissenschaftlichen Labore für jedermann wie jetzt. Michaels Vater lernte also mit der Zeit immer freier, das nannte man damals Unschooling. Damals war das noch illegal in Deutschland, es herrschte Schulzwang; allerdings war es im Ausland meist sogar problemlos möglich und in einigen Ländern sogar staatlich gefördert. So etwas gibt es heutzutage nicht mehr: Ganz normal bezahlt man für eine Leistung – und wählt in jedem Einzelfall das bestmögliche Angebot aus.
So gewinnen alle. Und es ist ja ohnehin alles besser und preiswerter gegenüber früher geworden. Selbst die Menschen, die heutzutage auf die Caritas angewiesen sind, können ihren Kindern gute Bildungsangebote bezahlen. So groß wie früher sind die Preisunterschiede ohnehin nicht mehr.
Michaels Mutter war normal zur Schule gegangen, also, was damals so normal war: staatliche Einheitsschule nach staatlichem Lehrplan: „Eine Schule für alle“ nannte man das damals. Das wäre heutzutage undenkbar: wo doch jeder Mensch anders ist und es so viele unterschiedliche und geniale Lernangebote gibt.
Gerade als Michael 6 Jahre alt wurde, machte die Firma, für die sein Vater arbeitete pleite – sie konnten jedenfalls die Honorare nicht voll bezahlen. Das war aber nicht das einzige Problem: sein Vater war hochspezialisiert und das spezielle Know-How war durch neue Erfindungen deutlich weniger gefragt. Arbeitslosenversicherung gab es nicht mehr und so mußte auf Gespartes Zugriff genommen werden. Gott sei Dank gab es, seit dem sich Privatwährungen etabliert hatten, keine Inflation mehr und Michaels Familie hatte einiges an goldgedeckten Annopfennigen sparen können: So mußten nicht einmal die Teilhaberverschreibungen an verschiedenen Firmen verkauft werden. Und Michael hatte einen Freund, den er im Biochemielabor der Lernunternehmung CO2 kennengelernt hatte, dessen Vater in der eigenen Erfinderfirma mit neuen Techniken experimentierte. Diese sollten die Neuerungen, die seinem Vater den Job gekostet hatten, noch einmal übertreffen. Gegen spekulative Gewinnanteilsversprechen erklärten sich Michael und sein Vater bereit, an den Forschungen mitzuarbeiten, wobei beiden genug Zeit bleiben sollte, damit Michael noch all die vielen anderen wichtigen Dinge im Leben lernen kann. Zunächst einmal besuchte er Mnemotechnik-Kurse um Wissen leichter und dauerhafter erwerben und behalten zu können – diese Technik war eigentlich schon uralt, aber inzwischen gab es spezielle Anbieter, die diese Lerntechnik auch Kindern vermittelten. In mehreren weiteren 14-Tage Kursen erlernte er die für sein Vorhaben wichtigen Fremdsprachen und besuchte auch weiterhin Vertiefungskurse für diese Fremdsprachen. Außerdem entschloß er sich das bewährte Grundcurriculum für 6 bis 12 jährige zu absolvieren, welches zudem sehr preiswert war. Es beanspruchte auch nur 8 bis 12 Wochenstunden, so daß genug Zeit für alles andere wichtige blieb. Es war eines dieser vielen Standardangebote, um möglichst preiswert und schnell eine grundsätzliche Allgemeinbildung zu erlangen.
Als Michael 9 Jahre alt war, hatten Sie mit der Unternehmung des Vaters des Freundes den Durchbruch geschafft und sie erzielten ganz ordentliche Einnahmen in beträchtlicher Höhe.
War das ein Fest! Trotzdem entschied sich Michael das Grundcurriculum noch zu beenden, um dann mit 13 Jahren sich endlich einem Studium zu widmen. Er besuchte dazu verschiedene Firmeninstitute und absolvierte einige Fernlehrgänge, um mit 16 endlich seine Graduiertenprüfung bei der angesehenen Prüfungskammer der in Übersee gelegenen Zertifizierungshochschulfirma abzulegen. Er hatte wider erwarten nicht so gut abgeschnitten wie erhofft: die weltweiten Prüflinge hatten dieses Jahr wieder ein erstaunlich hohes Niveau.
Allerdings nutzte er die Nachprüfungsmöglichkeit, die ihm endlich noch den einen und anderen Begriff möglich machten, der ihm vorher nicht so klar war. Vielleicht war das aber auch eine Frage des Alters.
Seine älteste Schwester hatte inzwischen mit ihrer Firmenunternehmung die erste Million gemacht und war dadurch in der glücklichen Lage, ihrer jüngeren Schwester aus einer wirtschaftlichen Notlage zu helfen, in die diese durch einen bedauerlichen Unfall mit Querschnittslähmung geraten war. Trotz dieses Unfalls und der damit verbundenen Komplikationen hielt die Familie an ihrem Vorsatz fest, im nächsten Jahr eine Weltreise zu bestreiten. Michael, der inzwischen nebenbei ein Faible für Geschichte entwickelt hatte, war auf diese Idee gekommen. Er hatte herausgefunden, daß die Lernenden schon im Mittelalter in ihren Gesellenjahren durch halb Europa reisten, um sich fremde Sitten und Gebräuche und bewährte Techniken andernorts anzueignen. Ihre Weltreise sollte ganz von diesem Geist beseelt sein – und war es dann auch. Wer mehr davon erfahren möchte, kaufe einfach das Buch „Wir sind dann mal weg!“ Ein wirklich lehrreiches Erfahrungsbuch.
Inzwischen hat Michael bei mehreren Firmen auf eigene Rechnung gearbeitet und konnte Kapital für ein eigenes Unternehmen einsetzen. Er ist dort seit einigen Jahren kein Geschäftsführer mehr, sondern seine Frau hat das Geschäft mit einer Partnerin übernommen, auf die die Verantwortung in 7 Monaten übergehen wird: Der Nachwuchs braucht dann seine Mutter. Michael selbst arbeitet inzwischen bei der Caritas und hilft gehandicapten Menschen.
Bei allem Lernen und aller Geschäftigkeit hat er immer erfahren, daß er andere braucht – und andere ihn.
-ENDE

Quelle: Öffentliche Konsultation 'Schulen für das 21. Jahrhundert'

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